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MEMORY LOST – Erinnerung gegen das Vergessen

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Inhaltsverezeichnis

Gedenken an Sadri Berisha in Ostfildern Am 6. Juni 2025 durften wir in der Städtischen Galerie Ostfildern gemeinsam mit Angehörigen von Sadri Berisha, Gästen und Zeitzeug*innen einen Abend erleben, der in Erinnerung bleibt.

Gedenken an Sadri Berisha in Ostfildern

Am 6. Juni 2025 durften wir in der Städtischen Galerie Ostfildern gemeinsam mit Angehörigen von Sadri Berisha, Gästen und Zeitzeug*innen einen Abend erleben, der in Erinnerung bleibt.

Der Titel der Ausstellung Memory Lost des Künstlers Klaus Illi hätte passender nicht sein können: Es geht um das, was verloren geht, wenn wir nicht erinnern. Um die Stimmen, die ungehört bleiben. Und um die Geschichten, über die viele lieber schweigen würden.

Doch an diesem Abend wurde gesprochen. Wurde erinnert. Wurde sichtbar gemacht.

Wer war Sadri Berisha?

Sadri Berisha war Familienvater, Arbeiter, Ehemann. Über 20 Jahre lebte er in Deutschland, arbeitete als Bauarbeiter und schickte einen großen Teil seines Verdienstes an seine Familie im Kosovo. Er war ein ruhiger, fleißiger Mensch. Einer, der kam, um zu arbeiten, um seinen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.

Doch in der Nacht des 8. Juli 1992 wurde Sadri Berisha Opfer eines brutalen Mordes:

Sieben Neonazis drangen in eine Unterkunft für Gastarbeiter in Stuttgart ein. Während sein Zimmergenosse schwer verletzt überlebte, wurde Sadri Berisha im Schlaf erschlagen.

Dieses Verbrechen war kein Einzelfall. Es steht exemplarisch für eine lange Reihe von rassistischen Angriffen und Morden in Deutschland – damals wie heute.

Fotocredit: Julian Rettig

Geschichten, die ans Licht müssen

Besonders bewegend war die Anwesenheit der Angehörigen von Sadri Berisha:

Sein Sohn Gjevdet Berisha kam mit seiner Frau und Enkeltochter aus dem Kosovo.

Auch seine Tochter Emine war mit ihrer Familie aus Frankreich angereist.

Die Gespräche an diesem Abend waren schmerzlich und kraftvoll zugleich. Wir erfuhren von den seltenen Momenten, die Sadri mit seiner Familie teilen konnte – von Picknicks, wenn er zweimal im Jahr aus Deutschland in den Kosovo reisen durfte.

Besonders erschütternd war der Moment, als wir hörten, wie die Familie von seinem Tod erfuhr:

Nicht durch die Behörden, nicht durch die Polizei. Sondern durch Zufall – eine Bekannte sprach ihr Beileid aus. So erfuhr der damals 18-jährige Sohn Gjevdet von der Ermordung seines Vaters. Er rannte nach Hause, um es seiner Mutter zu sagen. Bis zu diesem Moment wusste niemand in der Familie, was geschehen war.

Die deutschen Behörden hatten es nicht für nötig gehalten, die Familie zu informieren.

Auch die Überführung des Leichnams wurde nicht organisiert. Es war die migrantische Community, die mit Spendengeldern dafür sorgte, dass Sadri Berisha seine letzte Ruhe im Kosovo fand. Der damalige Oberbürgermeister, der an diesem Abend anwesend war, wusste darauf bis heute keine wirkliche Antwort.

Alltag voller Angst

Ein Mann aus dem Publikum erinnerte sich an die Angst, die viele Familien damals erlebten. Wie sie Seile an Heizkörper banden, um im Fall eines Brandanschlags schnell aus dem Fenster fliehen zu können. Er wusste oft nicht, ob er die Nacht überleben würde. Diese Worte bewegen mich bis heute.

Doch der Abend war nicht nur traurig. Gemeinsam wurde gedacht, diskutiert, nach vorne geschaut:

Wie können wir Erinnerung wachhalten? Wie kann ein würdiger Gedenkort für Sadri Berisha mitten in Ostfildern entstehen? Wie stellen wir sicher, dass Betroffene nicht wieder allein gelassen werden?

Erinnerung ist Arbeit. Aber sie ist notwendig, damit sich Geschichte nicht wiederholt.

Mein persönlicher Blick

Für mich war dieser Abend auch eine ganz persönliche Erfahrung. Ich durfte die Veranstaltung moderieren – doch es war für mich weit mehr als nur eine Aufgabe:

Nur zwei Monate nach dem Mord an Sadri Berisha wurde auch meine Familie von Neonazis angegriffen – nicht weit von hier. Durch unser Fenster wurde geschossen. Ich hatte Glück im Unglück. Die Kugel verfehlte mich nur knapp. Diese Verbindung, diese Erfahrung, macht es mir unmöglich, neutral über dieses Thema zu sprechen.

Für mich ist Erinnerung immer auch Überlebensarbeit. Deshalb war es umso wichtiger, diesen Raum gemeinsam zu gestalten.

Würde trotz Schmerz

Im Bild: Gjevdet Berisha, Sohn von Sadri Berisha, Fotocredit: Julian Rettig

Was mich am meisten beeindruckt hat, war die Reaktion der Familie auf die Frage, was sie sich von der deutschen Gesellschaft wünscht:

Kein Hass. Kein Groll. Nur der einfache Wunsch: Dass niemand sonst erleben muss, was ihnen widerfahren ist. Diese Haltung, trotz des unermesslichen Verlusts, war für mich einer der eindrucksvollsten Momente des Abends.

Mein großer Dank gilt allen, die diesen Abend möglich gemacht haben: Familie Berisha, die ihren Schmerz mit uns geteilt hat, Vlorë Krug, die mit Klarheit und Engagement auftritt, Sevije Idrizi, für die Übersetzung und Sicherung der Verständigung und Klaus Illi, der mit seiner Kunst eine Stimme für diese tragische Geschiche war.

Verantwortung für die Zukunft

Dieser Abend hat uns gezeigt: Erinnerung ist kein Selbstzweck. Sie ist Haltung. Sie ist Verantwortung. Und sie geht uns alle an.

Lasst uns gemeinsam dafür sorgen,

  • dass die Geschichten der Opfer rechter Gewalt nicht verloren gehen,
  • dass Namen wie Sadri Berisha nicht vergessen werden,
  • dass wir nicht nur erinnern, sondern auch handeln.

Denn eines ist klar: In unserer Gesellschaft darf kein Platz für Hass sein.

Fotocredit: Julian Rettig